Publikum mit brillanter Leistung begeistert

Oltner Tagblatt / MLZ; 2010-05-12, Hans-Rudolf Binz

Ein Mozartkonzert im Frühlingsmonat Mai - da erwarten die meisten wohl unbeschwertes, gefällig-heiteres Musizieren. Dass dieses Klischee von Mozart diesem in keiner Weise gerecht wird, zeigte das diesjährige Konzert des Kammerchors Buchsgau eindrücklich. Nicht, dass Mozart Fröhlichkeit verachtet hätte, doch ist die Heiterkeit, die aus seiner Musik spricht, viel tiefgründiger, als man bei oberflächlichem Hören meinen könnte. Da das Hintergründige und Dramatische in seinen späteren Werken immer deutlicher zum Vorschein kommt, wurde Mozart von seinen Zeitgenossen immer weniger akzeptiert.

Farbige und schlanke Töne 

Die beiden von Kammerchor Buchsgau und cantus firmus consort unter der Leitung von Andreas Reize gewählten Werke stehen exemplarisch für Mozarts späten Stil: Die grosse Messe in c-Moll KV 427 und die sogenannte Prager Sinfonie in D-Dur KV 504.

Beide Werke werfen vieldiskutierte Fragen auf: die Messe, weil sie unvollendet blieb, die Sinfonie, weil in ihr das Menuett zu fehlen scheint.

In der Interpretation durch das cantus firmus consort erfuhr die Sinfonie eine sehr transparente, aber auch dramatische, eindrückliche Wiedergabe. Das unter der ständigen Leitung von Andreas Reize stehende cantus firmus consort ist ein Orchester, das auf historischen Instrumenten in entsprechender Spielweise musiziert. Die Farbigkeit und Schlankheit des Klanges brachte auch die Nebenstimmen zur Geltung, die in diesem Mozartwerk viel mehr sind als blosse Begleitung der Melodie. Durch die Werke von Bach und Händel angeregt, hatte Mozart einen Stil entwickelt, der Kontrapunkt und Oberstimmenmelodik zu einer glücklichen Synthese brachte.

Das Herausarbeiten der verschiedenen Charaktere durch das Orchester liess auch das gross angelegte Andante als Synthese erscheinen: Hier sind Elemente des klassischen langsamen Satzes mit solchen des Menuetts verschmolzen, was das Fehlen eines eigenständigen Menuetts erklärt. Die akzentuierte und präzise Spielweise sowie überzeugende Tempi liessen das Publikum die in dem Werk enthaltene Dramatik erfahren, die Sinfonie wurde gleichsam zu einer «Oper ohne Text». Dass Mozart das Hauptthema des ersten Satzes in der Ouvertüre zur Zauberflöte wieder aufgriff, ist nur ein äusserlicher Beleg dieser engen Beziehung zwischen Mozarts späten Sinfonien und seinen grossen Opern.

Intensive Auseinandersetzung 

Die Messe in c-Moll hat Mozart nie vollendet. Hätte er das getan, so würde deren Aufführung etwa anderthalb Stunden dauern; diese ausserhalb jeder liturgischen Verwendungsmöglichkeit stehende Länge und die formale Anlage mit planmässigen Steigerungen rücken das Werk in die Nähe der Konzertmessen des 19. Jahrhunderts, andererseits weist der Aufbau aus einzelnen «Nummern» (Chöre und Arien) neben der Polyphonie und gewissen Eigenheiten der Textausdeutung auf die intensive Auseinandersetzung Mozarts mit den Grosswerken des Barock.

Für die Aufführung standen Andrea L. Brown und Gunhild Alsvik (Sopran 1 und 2) sowie Michael Feyfar (Tenor), und Raitis Grigalis (Bass, kurzfristig eingesprungen) zur Verfügung. Die beiden letzten sind Mitglieder des cantus firmus vokalensembles und von daher mit der Musizierweise Andreas Reizes bestens vertraut, was der Homogenität des Ganzen sehr zustatten kam. Die beiden Sopranistinnen, die den grösseren Teil der Solopartien zu bewältigen hatten, gefielen auf je eigene Art durch ausdrucksvolle und differenzierte Gestaltung ihrer zum Teil hoch virtuosen und expressiven Partien. Mozart führt die beiden Stimmen nicht nur in der Höhe, sondern auch in der Tiefe an ihre Grenzen, beides im Dienst der Textausdeutung. Dabei betonte Frau Brown mehr den opernmässigen, Frau Alsvik mehr den liedhaften Aspekt von Mozarts Musik.

Eindrückliche Harmonik 

Zu den Einzelstimmen traten Chor und Orchester als weitere Klangkörper, die in schönster Ausgewogenheit zusammenwirkten, sodass Text und Musik jederzeit bestens zu verstehen waren. Besonders schön waren die nur mit Holzbläsern begleiteten Abschnitte, welche durch die leicht ungleichstufige Intonation dieser Instrumente besonders farbig wirkten. Der Kammerchor Buchsgau entsprach voll den in den letzten Jahren immer höher gesetzten Erwartungen. Vielleicht hätten die doppelchörigen Partien wie etwa die grosse Osanna-Fuge noch plastischer gewirkt, wenn die räumlichen Verhältnisse eine stärkere Trennung der beiden Chöre erlaubt hätten. Dafür erfreute der Chor mit sicherer Intonation und schön ausgewogenen Stimmlagen, mit klarer Polyfonie und eindrücklicher Harmonik. Wohl am eindrücklichsten war die klangliche und musikalische Gestaltung der leisen Passagen. Was viele Chöre nicht schaffen, scheint dem Kammerchor Buchsgau fast mühelos zu gelingen: auch längere Abschnitte im Piano durchzuhalten und, immer mit tragendem, füllendem Chorklang, durch das Zurückgehen ins Pianissimo noch besondere Wirkungen zu erzielen. Das ist nur möglich als Resultat langjähriger, konsequenter Stimmbildungs- und Probenarbeit.

Brausender Beifall 

Mit der klangprächtigen Osanna-Fuge war der von Mozart stammende Teil der Messe beendet; das folgende Agnus Dei und Dona nobis sind Ergänzungen späterer Herausgeber, die für diese Texte auf die Musik des Kyrie zurückgriffen, was bei dieser Messe wohl kaum Mozarts Plan entspricht, hingegen in jener Zeit nicht unüblich war. So schloss dieses grosse Werk nicht im Triumph, sondern mit den leisen Tönen der Bitte um Frieden. Folgerichtig hielt der Dirigent nach dem Schlussakkord durch seine Haltung den Applaus des Publikums zurück, sodass die Musik in einem Moment der Stille nachwirken konnte. Dann brach sich die Begeisterung des Publikums Bahn mit brausendem Beifall als Dank für das grossartige Konzert.